Mit der Linie 5 quer durch die Stadt
Von Traditionsbetrieben, revolutionärer Technik, großen Gefühlen
– und außergewöhnlichen Menschen.
Entlang der Strecke der Stadtbahnlinie 5 zeigt sich die ganze Vielfalt Hannovers.
Sie führt von Stöcken über die Südstadt bis nach Anderten. Wir sind mitgefahren und erzählen an 29 Stationen 29 bemerkenswerte Geschichten. Zwischendurch geht es im Zeitraffer von Station zu Station.
(Hinweis für Handynutzer: Drehen Sie das Smartphone auf die Seite, um die Geschichten in vollem Format zu genießen.)
Eine Reportage der HAZ-Volontäre Julia Polley, Nils Oehlschläger, Tomma Petersen, Andrea Brack, Carina Bahl und Mario Moers.
Fotos: Philipp von Ditfurth, Tim Schaarschmidt, Alexander Körner und Clemens Heidrich
Eine Linie - viele Geschichten
Seit 1906 gibt es die Stadtbahnlinie 5 in Hannover – einst fuhr sie sogar bis nach Sehnde. Seit 2002 fahren die Bahnen täglich von Stöcken nach Anderten und zurück. Insgesamt wird jede der 29 Haltestellen entlang der Linie 208-mal pro Tag angefahren. 50.000 Fahrgäste, so die Schätzung der Üstra, sind täglich mit den Stadtbahnen der Linie 5 unterwegs. Am Tag sind zehn Bahnen auf der Strecke im Einsatz – unter anderem auch noch die grünen Bahnen des Typs TW 6000, die seit 1974 das Stadtbild Hannovers prägen.
Stöcken Mannes Mikrokosmos
Bei
Manfred „Manne“ Schütt fängt der Tag an. Oder er hört hier auf - je nachdem, in welche Richtung Mannes Kundschaft will: Zum VW-Werk oder nach Hause. An der Trinkhalle an der Endhaltestelle
der Linie 5 gibt's täglich den ersten Kaffee und das obligatorische Feierabendbier. Zu Schichtende reicht Manne die Halbliterflaschen Herri, Zigaretten
und auch Schnaps im Akkord über den Tresen.
Manne kennt "seine Pappenheimer" und jeden Stein im Viertel. Jedes Gerücht hört er als Erster, hat zu allem eine Meinung – er ist der Kerl
hinter dem grünen Fenster, der einem die Welt erklärt. Dabei ist
der Motorradfan herzlich, aber streng: Wer dummes Zeug macht, muss gehen. „Ich bin ehrlich und habe Spaß hier“,
sagt der 59-Jährige
Seit 20 Jahren ackert Manne täglich bis zu 17 Stunden in seinem Mikrokosmos. „Man vergisst dabei leider sein persönliches Umfeld.“ Ans
Aufhören denkt der 59-Jährige dennoch nicht. Dafür lässt er es
ruhiger angehen. „Jetzt mache ich nur noch die Frühschicht, von 4
Uhr früh bis halb sechs“ – abends versteht sich.
Nächster Halt: Stöckener Markt
Stöckener Markt Wenn der Aufbruch bröckelt...
38 Jahre ist es her, dass die
Bildhauerin Ulrike Enders dem mitunter tristen Stöckener Markt mit
ihrem Wasserkraft-Brunnen ein Symbol für den Aufbruch
verpasste. „Wie Lava, die von unten kommt, sollte der Brunnen das
Pflaster aufbrechen“, sagt die heute 73-Jährige. Enttäuscht schaut sie jetzt auf den Bauzaun, mit dem die Stadt
den Brunnen wegen baulicher Mängel abschirmt.
Anders als ihre bekanntesten Werke in Hannover
wie die "Leute im Regen" an der Georgstraße oder der
„Lindener Butjer“ vor der Volksbank in Linden-Nord,
war ihr Brunnen in Stöcken immer umstritten. Für Enders ist
das ein Kompliment. Sie erinnert sich an den Kommentar einer
entsetzten Passantin. „Es sieht ja aus, als sei hier etwas passiert." Das sei auch die Idee gewesen.
Was mit dem Brunnen passieren soll, berät aktuell die Stadtverwaltung. Von der Idee, das Kunstwerk durch
computergesteuerte Mini-Springbrunnen zu ersetzen, hält Künstlerin Enders nichts.
Mit dem Neubau des Freizeitheims am Markt habe gerade eine neue Phase
des Aufbruchs am Markt begonnen. „Man könnte den Brunnen in den Prozess einbeziehen“, sagt die Künstlerin.
Nächster Halt: Freudenthalstraße
Freudenthalstraße 46,1 Prozent...
... der Bewohner Stöckens haben einen Migrationshintergrund.
Nächster Halt: Stadtfriedhof Stöcken
Stadtfriedhof Stöcken Die letzte Ruhe ist kunterbunt
Windräder, Spielzeug und Lichterketten liegen auf den Gräbern: Ungewöhnlich bunt kommt dieser Teil des Stöckener
Stadtfriedhofes daher. Seit 2005 gibt es auf dem 55 Hektar großen Gelände ein Gräberfeld und eine Gedenkstätte für Kinder. „Wir
wollten, dass Eltern eine gemeinsame Anlaufstelle haben“,
sagt Cordula Wächtler von der Stadt.
17.000 Menschen sind seit 1891 in Stöcken
beigesetzt worden. Der Kinderfriedhof gehört zu den modernsten
Bereichen. Die altertümlichen Grabstätten mit Mausoleen stehen für die Gründungszeit, nicht weniger
die neugotische Kapelle am Eingang, die jeder kennt, der mit der
Linie 5 unterwegs ist.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der
Parkfriedhof eingerichtet - mit einem 2,5 Hektar großem Teich und Tausenden Rhododendron-Blüten. Der
Stadtfriedhof gilt heute als Ausflugsziel.
Seit 1989 wird der Friedhof auch interkultureller: Muslime
können dort nach ihren Traditionen Angehörige beisetzen – in
Richtung Mekka, nur in Leinentüchern. „Wir haben mit der Schura
einen Kompromiss gefunden, wie deutsches Bestattungsrecht und
muslimische Traditionen zusammen funktionieren“, sagt Wächtler.
Nächster Halt: Bahnhof Leinhausen
Bahnhof Leinhausen Schwwwwappp…. Platsssch….
An
dem typischen Geräusch, wenn das Wasser in den Überlauf schwappt,
kann Schwimmmeisterin Dorothea Pielke ihr RSV-Bad Leinhausen von
anderen Bädern unterscheiden. „Dieses Rauschen ist
charakteristisch für das Freibad“, sagt die 53-Jährige, die in
dem etwas versteckt am Bahnhof Leinhausen gelegenen Bad
„aufgewachsen“ ist.
Hier hat sie schwimmen gelernt und Wasserball
spielen. „1989 habe ich als Nationalspielerin bei der
Europameisterschaft mitgespielt, aber das ist lange her“, sagt die
aktuelle Leiterin der Schwimmabteilung. Ihre Schwester Christiane,
ebenfalls ein Eigengewächs des RSV, erschwamm bei den Olympischen
Spielen in Los Angeles 1984 sogar eine Bronzemedaille.
„Das Freibad
hier war für mich immer auch etwas Zuhause“, sagt Pielke. Zwischen
dem alten Schlot des Herrenhäuser-Kraftwerks und dem
Ausbesserungswerk der Bahn in Hannovers sechst-kleinsten Stadtteil (3213 Bewohner) gelegen, ist das RSV-Bad eine echte Oase
in Gehweite der Linie 5 – beruhigendes Rauschen inklusive.
Nächster Halt: Herrenhäuser Markt
Herrenhäuser Markt Bier am Fließband
Seit 150 Jahren ist die Privatbrauerei Herrenhausen am Herrenhäuser Markt ansässig. Seither werden hier jährlich 14 Millionen Liter „Herri" gebraut und in 600 Gaststätten und Restaurants ausgeschenkt. Ein Blick in die Brauerei - mit beeindruckenden Zahlen und Fakten.
Nächster Halt: Schaumburgstraße
Schaumburgstraße 700 Bürger...
... sind seit 2011 nach Herrenhausen gezogen. Knapp 500 von ihnen sind jünger als 29 Jahre.
Nächster Halt: Herrenhäuser Gärten
Herrenhäuser Gärten Der Himmel ist seine Leinwand
Antonio
Scarpato steht entspannt am schmalen Schotterweg, die Hände an den
Hüften, der Blick auf den prunkvollen Großen Garten gerichtet. Die
Arbeit ist geschafft.
Zum Auftakt des Feuerwerkwettbewerbs 2018 hat der
Italiener mit seinem Team vier Tonnen Raketen
zwischen den perfekt zugeschnittenen Hecken aufgebaut. „Das ist der schönste Platz, um ein Feuerwerk
zu machen“, sagt
der Pyrotechniker. Zwei Tage hat der Aufbau gebraucht, abends werden die Raketen bis zu 200
Meter in den Nachthimmel abheben. „Das wird ein Fest der
Farben. Wir sind Maler, der Himmel ist die Leinwand“, sagt
Scarpato, der Pyrotechniker in
sechster Generation ist.
Gartenmeister Thomas Amelung wirft an diesem Abend trotzdem einen besonderen Blick auf die Aufbauten von Scarpato. „Ein Buchsbaum brannte schon mal bei den Feuerwerkswettbewerben“, sagt Amelung. Müll sei
aber bei einer Großveranstaltung mit 11.000 Besucher stets das größere
Problem. Sein Versprechen: „Am
Morgen danach sieht alles aus wie neu.“
Nächster Halt: Appelstraße
Appelstraße Das große Chillen im Georgengarten
Grillgeruch liegt in der
Luft. Großfamilien mit Kindern treffen sich, Studenten kommen
zusammen und Jugendliche relaxen in der Sonne - auf einer
Decke oder in einer mitgebrachten Hängematte. Die einen kicken beim Biertrinken gegen einen
Fußball, andere haben sich eine Slackline zwischen zwei
Bäume gespannt. Vor allem junge Leute finden sich zuhauf im Georgengarten. Kein Wunder: Die Nordstadt ist besonders beliebt bei Jüngeren. Mindestens jeder dritte Bewohner ist noch keine 30 Jahre alt.
Auf dem
Schotterplatz duellieren sich aber auch älter Boule-Spieler. Jogger und Fahrradfahrer
durchqueren den Garten auf der knapp zwei Kilometer langen
Herrenhäuser Allee. Immer wieder bleiben Fußgänger stehen und
machen ein Foto von der prachtvollen Lindenallee. Bei Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen in der Stadt wird der Georgengarten so zum Treffpunkt für viele Hannoveraner.
Nächster Halt: Schneiderberg / Wilhelm-Busch-Museum
Schneiderberg / Wilhelm-Busch-Museum Willkommen im Leben!
Wer
aus dem Fenster im ersten
Stock schaut, der sieht die Stadtbahnen der Linie 5 vorbeiziehen. Aus
den anderen Fenstern geht der Blick in den fast verwunschenen
Garten. Mit einem sterilen Kreißsaal hat der Geburtsraum absolut nichts zu tun: Warme Farben und liebevolle Details bestimmen die Einrichtung im Geburtshaus Herrenhausen.
Mehr als 50 Kinder haben dort seit August 2017 das Licht der Welt erblickt – ohne Ärzte, nur angeleitet von erfahrenen Hebammen. „Es
geht bei uns nicht um Geburtsmedizin, sondern um Geburtshilfe“,
sagt Gründungshebamme Evelyn Kampfhofer. Mehr als 85 Prozent aller
Geburten verlaufen ohne Komplikationen. Frauen, die
normal entbinden können, will das Geburtshaus eine Alternative zum
Kreißsaal bieten. „In Kliniken fühlen sich Frauen oft allein gelassen. Niemand
nimmt sich Zeit, ihre Fragen zu beantworten“, weiß Kampfhofer. Das
merke man nach der Geburt: Wenn den Müttern das Vertrauen ins eigene Bauchgefühl fehle.
Die Nachfrage ist groß: Inzwischen gibt es
Schwangere, die extra aus Hildesheim, Alfeld oder Hameln zur Geburt an die Nienburger Straße 6 kommen. Das Team begleitet die Frauen – fast täglich treffen sich dort Vorbereitungs-, Rückbildungs- oder Beikostkurse in der Altbau-Villa.
Nächster Halt: Leibniz Universität
Leibniz Universität Die Uni-Zeit in Zahlen
Sie ist die zweitgrößte Universität in Niedersachsen: 28.742 Studenten sind an der Leibniz Uni immatrikuliert – nur in
Göttingen haben sich mehr Menschen eingeschrieben (30.300). Männer
sind in Hannover mit 60 Prozent in der Überzahl, rund 6 Prozent der Studenten haben Kinder. Der jüngste Studierende ist 17
Jahre alt, der Älteste konnte bereits seinen 80. Geburtstag feiern.
Die Vorlesungen werden von 335 Professoren
gehalten. Damit liegt das Verhältnis bei 85 Studierenden pro Lehrstuhlinhaber.
Diese verteilen sich auf 180 Studiengänge (inklusive
Teilstudiengänge).
Für Vorlesungen stehen laut Leibniz-Universität
48 Hörsäle zur Verfügung. Der größte ist mit 630 Plätzen das
Auditorium Maximum. Etwa 350 Studierende verbringen das
Sommersemester 2018 im Ausland, im Gegenzug sind etwa 200
Gaststudenten für ein oder zwei Semester aus dem Ausland in Hannover.
Auch sie überweisen einen Semesterbeitrag von 425,06
Euro.
Nächster Halt: Königsworther Platz
Königsworther Platz Die Macke der Studenten
Bier,
Rauch und ein Ledersofa als Basis – und der Mief einer Studentenbude als dezente Kopfnote. In Hannovers bekanntestem
Studentencafé, der Hanomacke auf dem Conti-Campus, weht seit 32
Jahren der Duft von studentischer Freiheit. Für den 21-jährigen
angehenden Wirtschaftsingenieur Tim Wilhelmi ist die selbstverwaltete
Kneipe mehr als
ein Treffpunkt zwischen den Vorlesungen. „Die Macke und die Leute
dort sind auch ein bisschen Familie“, sagt der Vorsitzende des
Betreibervereins. Dass der Laden seit drei Jahrzehnten jeder Bäcker-
und Barkonkurrenz in der Nachbarschaft trotzt, liegt auch an der
besonderen Organisation: „Jeder kann mithelfen. Wer eine
Thekenschicht übernehmen will, trägt sich einfach auf der
aushängenden Liste ein“, erklärt Wilhelmi.
Vor zehn Jahren wollten Raumplaner die Hanomacke in Lernräume umwandeln. Sie
scheiterten am Protest der „Macke-Unterstützer“. Denen ist ihr
Refugium eine Herzensangelegenheit. Ein Ort zum Durchatmen - trotz
Miefs. Die Lüftungsanlage ist das nächste Großprojekt.
Nächster Halt: Steintor
Steintor Multikulti 2.0
Faruk
Mermertas kennt fast jeden an der Langen Laube am Steintor. Der
30-Jährige ist hier aufgewachsen. Seine Familie
betreibt seit mehr als 20 Jahren den Saray Market, einen Supermarkt für
orientalische Lebensmittel. Zwischen den Regalen mit Kichererbsen, Rosenblüten oder Kurkuma bleibt er immer wieder stehen. „Merhaba! Die Äpfel sind ganz frisch“, sagt Mermertas zu einem Kunden.
Er führt das Geschäft seines
Vaters fort - auf seine Art. Der Wirtschaftsingenieur hat den Saray Market zum
Online-Supermarkt umgebaut und vertreibt die Lebensmittel nun deutschlandweit.
Obwohl nach dem Studium Angebote von Unternehmen winkten, wollte der 30-Jährige am
Steintor bleiben. „Der Stadtteil ist lebendig.“ Zusammen
mit seinen Geschwistern hat er eine Facebook-Seite und einen Blog
eingerichtet. Hier werden Rezepte geteilt oder
muslimische Gebräuche erklärt.
Trotz 2.0-Offensive ist es das Steintor,
das Multikulti-Zentrum Hannovers, das ihn inspiriert.
„Der Kontakt zu den Kunden ist das Schönste an meiner
Arbeit“, sagt Mermertas.
Nächster Halt: Kröpcke
Kröpcke 42 Rolltreppen im Herzen Hannovers
Am
26. September 1975 war es soweit: Die erste Stadtbahn erreichte die
unterirdische Station Kröpcke. Mitten in der Innenstadt war zuvor
über Jahre eine Großbaustelle entstanden: 25 Meter tief musste das
Erdreich ausgehoben werden, rund 50.000 Lastwagen Erde verließen
Hannovers Mitte.
Heute ist die Station der Dreh- und Angelpunkt im
Nahverkehr: 173.400 Fahrgäste steigen hier täglich ein, aus oder
um. Zum Vergleich: Im kompletten Stadtteil Mitte, in dem die Haltestelle liegt, wohnen nur 10.921 Menschen.
Die Station unterteilt sich in drei Ebenen und sechs Bahnsteige
mit einer Gesamtlänge von 618 Metern, die von zwölf Stadtbahnlinien
insgesamt 2200-Mal täglich angefahren werden. 42 Rolltreppen,
darunter die vier längsten Hannovers mit 33 Metern, stehen zur
Verfügung, um 239 Meter zu überwinden.
1999 bedeckte der italienische Designer
Massimo Iosa Ghini 12.000 Quadratmeter Wand in der Station mit grünen
und gelben Glassteinchen.
Nächster Halt: Aegidientorplatz
Aegidientorplatz Ein Stück Freiheit in luftigen Höhen
80 Meter über dem
Erdboden legt sich Klaus-Dieter Böning das Sicherheitsgeschirr um.
Dann hebt der Mitarbeiter des Reinigungsdienstes Perfekta seinen
Eimer, Lappen und Fensterwischer in den Metallkorb und klinkt den Karabinerhaken ein.
Sicherheit geht vor, auch wenn die schwindelerregende Höhe dem
54-Jährigen nichts mehr ausmacht. Vielmehr schätzt er die
Abgeschiedenheit über den Dächern der Stadt. „Es ist kein
Mensch da, du machst einfach deine Arbeit“, sagt er. „Das ist ein Stück Freiheit.“
Acht Stunden lang reinigt sein Team täglich die Scheiben der
gläsernen Nord/LB-Zentrale an der Haltestelle Aegidientorplatz. Die Architektur des Gebäudes erfordert eine besondere
Pflege: 18 Stockwerke ragt der Bau in den Himmel, in dessen Fassade
14.000 Glasscheiben verbaut sind. Da bleibt den Fensterputzern kaum
Zeit zum Durchschnaufen. „Wenn so ein Gebäude instandgehalten
werden soll, muss das regelmäßig gemacht werden“, sagt er.
Nur zu
Beginn des Arbeitstages muss auch Böning kurz innehalten. Dann hängt er morgens um 5 Uhr an der gläsernen
Außenwand und sieht die Sonne aufgehen. „Das ist immer wieder
schön“, sagt er. „Da musst du hingucken. Das geht nicht
anders."
Nächster Halt: Marienstraße
Marienstraße Einfach unter dem Stau wegfahren
Zum
Feierabend ist es täglich das gleiche Verkehrselend: Auf der
Marienstraße stauen sich die Autos wie kaum anderswo
in der Stadt. Das war aber nicht immer so: Der Weg nach Misburg und Kirchrode bot vor 100 Jahren
Kutschen, der elektrischen Straßenbahn und Flaneuren ausreichend
Platz, um staufrei zum Ziel zu gelangen.
1872 begann der
öffentliche Nahverkehr zwischen dem Aegidientor und dem damals noch
Marienstadt genannten Teil der heutigen Südstadt mit einer
Pferdebahn. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Straße als
sogenannte Radialstraße zur neuralgischen Verkehrsader, die den
Cityring mit dem Messeschnellweg am Pferdeturm verbindet. Als in der
Nachkriegszeit immer mehr Autos die Straße verstopften, wurde die
Straßenbahn am Ende der Achtzigerjahre unter die Erde verlegt.
Seitdem können bis zu 74 Prozent mehr Fahrgäste die Strecke fünf
Minuten schneller zurücklegen.
Hinweis: Um die Vorher-Nachher-Ansicht zu aktivieren, unten links auf den weißen Pfeil klicken. Anschließen mit der gerdückten linken Maustaste die Trennlinie nach links und rechts ziehen.
Nächster Halt: Braunschweiger Platz
Braunschweiger Platz 40.221 Menschen...
... leben in der Südstadt, die damit der zweitgrößte Stadtteil Hannovers ist.
Nächster Halt: Clausewitzstraße
Clausewitzstraße Gibt es eine Zukunft für die Stadtpark-Sauna?
David Mastbaum dreht den Schlüssel zweimal im Schloss. Dann öffnet der Geschäftsführer der Stadtpark-Sauna die Tür und tritt aus dem Tageslicht in die Dunkelheit. Drinnen sind die Wände mit Ruß überzogen, die Fenster sind vergilbt und helle Flecken an der Wand zeigen, wo einmal Bilder gehangen haben. Es riecht nach verbranntem Holz – als wäre das Feuer, das Hannovers älteste Sauna zerstört hat, gestern erst gelegt worden. Eigentlich sollte 2017 ein gutes Jahr für die Freunde der Stadtpark-Sauna werden, erzählt Mastbaum. Ein Neubau war geplant, modern gestaltet und mit Platz für kulturelle Veranstaltungen. Mit der Stadt sei man sich bereits einig gewesen, Spendengelder hatte der Stadtpark-Verein auch schon gesammelt. „Aber dann hat es gebrannt“, sagt Mastbaum. Der 33 Jahre alte Brandstifter wurde kurz nach dem Feuer im benachbarten Stadtpark hinter einem Busch aufgegriffen und Ende Mai vom Amtsgericht zu einer Haftstrafe von anderthalb Jahren verurteilt. Die Sauna soll wieder aufgebaut werden. Wann und in welcher Form, ist allerdings noch nicht entschieden.
Nächster Halt: Kantplatz
Kantplatz Eiskalter Traumjob: Nichts bei den Indians läuft ohne ihn
Hinter dem Kabinentrakt der Indians im Eisstadion am Pferderturm liegt Benjamin Ropers Arbeitsplatz: Eine Werkstatt, ein Büro und ein Raum voll mit Trikots und Schlägern. „Das ist mein Reich“, sagt er. „Beim Material passiert nichts, ohne dass ich mein Okay gegeben habe.“ Während der Saison ist der 35-Jährige jeden Tag vor Ort, repariert Schlittschuhe, wäscht Trikots und bestellt Schläger. Zudem kümmert sich der gelernte Schreiner um die komplette Organisation rund um die Mannschaft, die in der Oberliga Nord spielt: Anreise und Verpflegung bei Auswärtsspielen, Unterbringung neuer Spieler in Wohnungen – und noch viel mehr. „Eishockey ist mein Leben“, sagt der Hannoveraner, der schon als Kind die Spiele live verfolgt hat. Auch wenn die Arbeitstage in den Wintermonaten sehr lang seien, mache der Job Spaß.
Nächster Halt: Ulhornstraße
Ulhornstraße Neues Leben für alten Beton
Auf einmal ist es schlagartig dunkel. Zwei Meter dicke Betonwände sperren die Welt aus. Nur eine alte Glühbirne füllt den schmalen Gang mit gelblichem Licht. „Das ist keine 08/15-Immobilie“, sagt Jonas Kirchberg von der Stadt. Der alte Luftschutzbunker an der Kleefelder Rupsteinstraße diente der Stadt in den vergangenen Jahren als Lagerraum. In den nächsten zwei Jahren soll er nun zum Kauf angeboten werden. Seit 2012 ist die Stadt Hannover nicht mehr verpflichtet, die Betonkolosse zum Schutz der Bevölkerung für den kriegerischen Ernstfall vorzuhalten – damals erlosch für Hannover die Zivilschutzbindung für die Schutzbauten. Seitdem hat die Stadt bereits Bunker verkauft. So soll es nun auch mit dem Bunker nahe der Haltestelle Uhlhornstraße geschehen. „Es wird ein Wertgutachten geben“, sagt Kirchberg. "Dann werden die Bunker üblicherweise im Höchstpreisverfahren verkauft.“ Verkauft werde aber nicht zu jedem Zweck. Ein Verkauf, nur damit jemand einen Bunker sein Eigen nennen kann, werde es nicht geben.
Nächster Halt: Nackenberg
Nackenberg 1 Prozent...
... aller Wohnungen in Kleefeld stehen leer. In mehr als jedem zweiten Gebäude gibt es mindestens drei Wohnungen.
Nächster Halt: Annastift
Annastift Eine Hand an der Zukunft?
Forscher
der orthopädischen Klinik der MHH im Annastift arbeiten an den
Prothesen der Zukunft. Seit zwei Jahren testen Dr. Eike Jakubowitz
und sein Team Roboterhände, die Oberflächen erkennen und
von Patienten intuitiv gesteuert werden können. „Das gibt es so
noch nicht", sagt Jakubowitz.
Das kann Ludwig List nur
bestätigen. Der 82-jährige Testpatient hat als Achtjähriger im
Zweiten Weltkrieg seinen rechten Unterarm verloren. Seitdem hat er
fast alle Prothesen auf dem Markt ausprobiert. „Ich habe sogar eine
für 20.000 Euro getestet. Die war aber viel zu schwer und musste
programmiert werden."
Das
sei bei der sogenannten Softhand anders. „Ich kann damit sogar
Kunststoffbecher halten. Mit meiner alten Prothese habe ich sie
zerdrückt“, erklärt List. Zwei Elektroden messen die Muskelbewegung
vom Stumpf, und Signalgeber vibrieren in unterschiedlicher Intensität
je nachdem, welches Material angefasst wird. „Dieser
Rückmeldungsprozess hilft dem Patienten, die Griffkraft zu steuern",
erklärt Jakubowitz. Auch tanzen kann List bei den Tests mit
mehr Freude. „Ich habe jetzt wieder ein Gefühl für meine
Tanzpartnerin.“ Diese Lebensqualität wünschen sich Jakubowitz und sein Team für alle Patienten. „Unser Ziel ist es, die Softhand zur
Marktreife zu führen", sagt er. 5000 Euro kostet der Prototyp.
Nächster Halt: Bleekstraße
Bleekstraße Sehen mit fast allen Sinnen
Seit
100 Jahren werden an der Bleekstraße in Kirchrode blinde Kinder
unterrichtet. Das Landesbildungszentrum für Blinde (LBZB) mit seinen
90.000 Quadratmetern und 18 Gebäuden ist eine kleine Welt für sich.
Die Einrichtung entstand
1845 in Auftrag des blinden Hannoverschen Königs Georg V. Heute
arbeiten hier 220 Pädagogen, Psychologen und Betreuer zusammen mit 30 Auszubildenden und 26 Jugendlichen im Freiwilligen Sozialen Jahr – und kümmern sich
um 100 Kinder. 60 der Schüler leben dort
im Internat. „Wir unterrichten von der ersten bis zur zehnten Klasse, da kommen
auch ganz kleine Kinder zu uns“, sagt Maria Grodzki, Leiterin der
Einrichtung.
Einmal in der Woche
erobern Ponys, Meerschweinchen und Hühner das Gelände. „Das ist
die tiergestützte Therapie. Die Idee dazu hatte eine blinde
Kollegin“, sagt sie.
Das LBZB unterstützt Familien von
Göttingen bis Norderney. „Je früher wir mit
der Arbeit anfangen, desto größer sind die Fortschritte“, sagt
Grodzki. Auch Schulen werden von den Pädagogen des LBZB betreut. „Wir erstellen tastbare Karten und übersetzen
ganze Bücher in Braille-Schrift“, sagt Franz-Josef Beck,
pädagogischer Leiter der Medienzentrale.
Nächster Halt: Saarbrückener Straße
Saarbrückener Straße 613 Hektar...
... umfasst Kirchrode. Flächenmäßig ist der Stadtteil damit auf Rang 11 von 49 in Hannover.
Nächster Halt: Großer Hillen
Großer Hillen Seit 35 Jahren gibt es bei Olivottis italienisches Eis
Es
gibt wohl kaum jemanden in Kirchrode, der das Eiscafé Soravia nicht
kennt. Nach einem Spaziergang im Tiergarten gönnen sich viele eine Pause
an der Traditionsmanufaktur von Pierdenni Olivotti. „Wir haben auch
viele Kunden, die aus der Stadt herkommen, nur um ein Eis bei uns zu
essen", sagt Olivotti.
Zusammen mit seinem Bruder führt er seit
35 Jahren die Eisdiele – die es im aktuellen HAZ-Ranking auf den
dritten Platz geschafft hat. Das Soravia gibt es hier aber viel
länger: seit 60 Jahren. „Mein Bruder und ich haben alles vom alten Meister gelernt", sagt der
54-jährige Eismacher. Von Ende Januar bis Ende Oktober steht er
jeden Tag ab 6 Uhr vor seinen Eismaschinen und bereitet die mehr als
33 Sorten frisch zu. Fragt man den Meister nach seiner Lieblingssorte, zögert
er nicht: „Tartufo“. Das Schokoladen-Nuss-Eis ist ein
italienischer Klassiker und erinnert ihn an seine Heimat - ein kleines
Dorf nahe Cortina am Fuße der Dolomiten.
Nächster Halt: Tiergarten
Tiergarten Wo Hirsch und Reh sich „Guten Morgen“ sagen...
Der
Morgentau liegt noch auf dem hohen Grass, als Erich Pfannenschmidt
das eiserne Tor zum Dammwildgehege aufzieht. Aus sicherer Ferne
beobachten ein Hirsch und sechs Rehe die Eindringlinge. „Der Hirsch
hat gerade abgeworfen“, sagt der Vorarbeiter des
Tiergarten-Betriebshofs. Das neue Geweih ist aber bereits wieder gut
sichtbar nachgewachsen. Gefüttert werden müssen die Tiere in den
Sommermonaten nicht, erzählt der 63-Jährige. Dafür ist genug Gras
vorhanden – auch wenn Pfannenschmidt die Grünflächen am liebsten
kurz mäht. „Bei mir sieht es manchmal aus wie auf einem
Golfplatz“, sagt der Mann, der den Tiergarten mit seinen
Mitarbeitern in Schuss hält.
Hin und wieder bekomme er ein Lob von Besuchern, sagt
Pfannenschmidt. „Das ist dann auch sehr schön.“ Immerhin mache
sein Team im Tiergarten so gut wie alles selbst: Bänke bauen, Bäume
pflanzen, Wege pflegen und Sturmschäden reparieren – das sind nur
ein paar der Aufgaben, die täglich anfallen. Auch wenn es viel
Arbeit ist, kann sich Pfannenschmidt wenige Wochen vor seinem
Eintritt in die Rente kaum einen schöneren Beruf vorstellen. „Das
ist schon ein top Job hier“, sagt er und schaut ins Grüne.
Nächster Halt: Ostfeldstraße
Ostfeldstraße Des Kaisers alte Kleider...
Eine echte Schatzkammer gibt es in der Nähe der Haltestelle Ostfeldstraße zu entdecken. Das privat geführte Museum für textile
Kunst beherbergt versteckt in der Borcherstraße eine
einzigartige Sammlung edelster Stoffe, historischer Kostüme und
atemberaubende Couture-Träume in einem umgebauten Bunker.
Besucher
finden dort einen historischen Teppich aus dem chinesischen
Kaiserpalast oder einen Stoff, den einst die Gattin des
persischen Schahs Farah Diba ihr Eigen nannte. „Hier sieht man Preziosen, die es so in ganz Europa nicht zu sehen gibt“, sagt Mitarbeiterin Almut Siefkens.
Zusammengetragen hat all die
Kostbarkeiten die Modedesignerin Erika Knoop, die unter anderem für
die Bühnengarderobe der legendären Scorpions entwarf. „Von internationalen Auktionen und Textilien-Entdeckungsreisen in der
ganzen Welt hat sie die seltenen Textilien
nach Hannover gebracht“, sagt Siefkens. Einziger Wehrmutstropfen: „Oft wissen nicht einmal die Leute in Kirchrode, dass es hier so
etwas Tolles gibt“, sagt Siefkens. Ein geführter Rundgang ist also ein Geheimtipp.
Nächster Halt: Königsberger Ring
Königsberger Ring 12,5 Prozent...
... der Menschen in Anderten sind älter als 75 Jahre.
Nächster Halt: Anderten
Anderten Stadtbahnfahrer Totti liebt seine grüne Linie
Die
Linie 5 ist seine Lieblingslinie. Wie praktisch, dass Thorsten
Sitsch, den alle eigentlich nur „Totti“ nennen, regelmäßig in
der Fahrerkabine der Linie 5 sitzen darf. Seit fast zwei Jahren fährt
Totti nämlich Stadtbahn. Der Quereinsteiger kennt seine Haus- und
Hoflinie in- und auswendig. „Ab dem Nackenberg ticken die Uhren
anders“, sagt Totti. Am Kröpcke, in der Stadt, da müsse jeder
schnell zur Arbeit oder zu wichtigen Terminen. „Aber ab dem
Nackenberg hat kaum noch jemand ein Handy in der Hand – die Leute
unterhalten sich hier viel mehr.“
Die „grüne Linie“, wie Totti
die Linie 5 nennt, überrascht ihn wieder mit spannenden Geschichten. Eine besondere Begegnung
hatte Totti erst vor Kurzem am Bahnhof Leinhausen. „Da hat ein indischer Mann,
bevor er bei mir eingestiegen ist, die Bahn und mich gesegnet –
damit alles unfallfrei geht“, erzählt Totti und grinst. Angst,
dass etwas passiert, habe er zwar sowieso nicht. „Aber schön war’s
trotzdem. Das werde ich nicht vergessen“, sagt Totti.
Die Autoren
Eine Fahrt mit der Stadtbahnlinie 5 ist ein Projekt der HAZ-Volontäre Julia Polley, Nils Oehlschläger, Mario Moers, Carina Bahl, Andrea Brack und Tomma Petersen (von links). Von Stöcken bis Anderten sind sie mit der Bahn quer durch Hannover gefahren, haben Personen getroffen, Geschichten erlebt - und sie festgehalten.